Mommy Shaming

Es ist der Tag nach Männleins erstem Geburtstag. Meine Elternzeit ist vorbei und ich arbeite wieder. Der Einstieg ist etwas holprig und chaotisch. So kommt es, dass ich Männlein in den ersten Tagen mit zur Arbeit nehmen muss.

An diesem Tag begleiten wir eine Betreute zu ihrem Rehasport. Während sie schwitzt, warten wir in der Sitzecke. Männlein krabbelt vergnügt herum, zieht sich ab und zu an Stühlen hoch und hangelt sich auch an ihnen entlang.

Da kommt eine Frau und setzt sich. Eine Weile beobachtet sie uns kritisch. Dann fragt sie: „Wie alt ist denn der Kleine?“ Ich erzähle ihr, dass er gestern seinen ersten Geburtstag hatte und erwarte darauf irgendeinen netten Kommentar z.B. „Herzlichen Glückwunsch nachträglich!“ Oder so. Statt dessen sagt sie: „Und da läuft der noch nicht? Der macht ja mit der Krabbelei die Hosen dreckig!“ Ich bin verdutzt, bleibe aber freundlich und erzähle ihr, dass Männlein seit zwei Monaten immer mal wieder Gehversuche macht, sich aber beim Krabbeln einfach wohler fühlt. Da erklärt sie mir, ich müsse mit ihm mehr Laufen üben. Ihre Nichte wäre mit einem Jahr schon wunderbar gelaufen. Jetzt nervt sie mich allmählich. Frostig teile ich ihr mit, dass jedes Kind sich anders entwickelt und dass ich mir bisher keine Sorgen mache.

Die Frau schweigt und guckt wieder kritisch. Ich werfe einen Blick auf die Uhr – Mist noch 15 Minuten bis die Therapie um ist. Jetzt sagt die Frau zu Männlein: „Du hast ja Flecken auf deinem Pullover. Sag mal deiner Mama, dass du was sauberes anziehen möchtest!“

An dieser Stelle beschließe ich zwei Sachen:

1. Ich mag diese Frau nicht.

2. Ich werde jetzt einfach nichts sagen.

Natürlich hat ein Kind in dem alter dreckige Hosen vom Krabbeln und ja! Ich gebe Männlein auch was zu essen ohne Lätzchen!!! Und danach wäge ich ab: Ist er sehr voll geschmaddert, dann ziehe ich ihm etwas anderes an. Sind es nur ein paar Flecken? Mein Gott, dann ist doch alles in Ordnung. Muss ich mich dafür bei wildfremden Leuten rechtfertigen?

Ich schaue wieder auf die Uhr – noch fünf Minuten. OK, ich ziehe Männlein schon einmal die Jacke an, damit wir so schnell wie möglich von der Frau weg kommen. Da sagt sie: „Deine Jacke ist ja viel zu groß! Sag das mal deiner Mama!“

Jetzt reichts mir. Was soll denn das? Das frage ich auch die Frau. Sie ist verwirrt und fragt mich, was mein Problem ist. Ich teile ihr mit, dass mein Probelm daher kommt, dasssie mir seit einer halben Stunde mitteilt, was für eine schlechte Mutter ich bin. Sie meint, dass hätte ich alles falsch verstanden und ich soll doch nicht so empfindlich sein. Waaaaas? Ich sage ihr, dann hätte sie vielleicht einfach den Mund halten sollen. Wie hätte ich ihr Gerede denn sonst verstehen sollen? Da kommt meine Betreute. Gott sei Dank wir können gehen! Ich hoffe ich sehe diese Frau nie wieder.

Mit Männlein am Strand

Den Jahreswechsel 17/18 verbrachten wir in einem Häuschen am Meer in der Nähe von Valparaiso. Natürlich waren wir auch viel am Strand, was sich mit dem Männlein als sehr lustig herausstellte. Der war zu diesem Zeitpunkt zehn Monate alt und genoss die orale Phase in vollen Zügen. Na und was machte Männlein da am Strand? Ja natürlich! Er stopfte sich händeweise Sand in den Mund. Das empfand ich gar nicht einmal als probelematisch. Was mich viel mehr beunruhigte, war der Müll, den die dämlichen Menschen so gerne am Strand liegen lassen. Denn das ist ja bekannt: Wir Menschen können so ein Fleckchen Natur erst dann so richtig wertschätzen, wenn wir unseren Müll dort hinterlassen haben.

Und so sprangen Cristobal und ich am Strand um Männlein herum, darum bemüht Zigarettenkippen, Bonbonpapiere und ja auch Kondome verschwinden zu lassen, bevor das alles gemeinsam mit dem feinrieselnden Sand in Männleins Mund verschwand.

Die Bestätigung, dass das Essen von Sand kein Drama ist, bekamen wir übrigens in den darauf folgenden Tagen mit dem Windelinhalt. Jedes Mal wenn Männlein sein großes Geschäft verrichtete, war gemeinsam mit der Kaka auch immer eine Ladung Sand in der Windel… naja, und Dreck reinigt ja bekanntlich den Magen.

Eine Fahrt mit dem Bus in Santiago mit Baby

Wir stehen an der Haltestelle. Es ist heiß und es gibt kaum Schatten… jedenfalls nicht genug für die Menge der Leute, die dort warten. Wir quetschen uns alle unter ein Dach. Ich habe das Männlein in der Trage. Ein Platz auf einer Bank wird frei. Ich sehe es, möchte mich aber nicht setzen. Eine Frau fordert mich auf, mich zu setzen. Ich sage: „No gracias!“ Sie schüttelt den Kopf. Cristobal muss ihr erklären: Das Baby wird so unruhig, wenn ich mich setze.

Unser Bus kommt. Mit uns steigt ein Pärchen ein. Er spielt Gitarre, sie vertonen selbstgeschriebene Gedichte – schön! Eine Frau bietet mir ihren Platz an. Ich sage: „No gracias!“ Sie bietet ihn mir noch einmal an. Ich sage: „Todo bien, en serio.“ Cristobal muss ihr erklären: Das Baby wird so unruhig, wenn ich mich setze.

Die Künstler sammeln Geld in einem Hut ein. Cristobal gibt ihnen etwas. Der Bus hält und die Künstler steigen aus. Ein Verkäufer steigt ein und ein Mann mit einem Schifferklavier. Der Verkäufer schreit laut und schnell, dass er Eis aus natürlichen Früchten verkauft. Na Gott sei Dank! Eine Frau bietet mir ihren Platz an. Ich sage: „No gracias! Todo bien!“ Sie schüttelt den Kopf. Cristobal muss ihr erklären: Das Baby wird so unruhig, wenn ich mich setze.

Der Bus hält. Der laute Verkäufer steigt aus und der Mann mit dem Schifferklavier fängt an zu spielen – schön. Eine Frau spricht Cristobal an, er solle mich durch lassen, damit ich mich auf ihren Platz setzen kann. Als er für mich das Angebot ausschlägt wird sie sauer. Er erklärt, dass ich seine Frau bin und das Baby wird so unruhig, wenn ich mich setze. Sie schaut mich zweifelnd an. Ich sage: „Si! Todo bien!“

Der Mann mit dem Schifferklavier ist fertig. Er bekommt Applaus und Kleingeld. Der Bus hält. Er steigt aus. Ein Mann steigt ein und will Pflaster verkaufen. Er war im Knast und will nun nicht mehr kriminell sein, deshalb verkauft er Pflaster. Eine Frau bietet mir ihren Platz an. Ich sage: „No gracias!“ Cristobal erklärt: Das Baby wird so unruhig, wenn ich mich setze. Wir sind ein eingespieltes Team. An der nächsten Haltestelle steigen wir aus.

Der erste Flug

Das Männlein ist zehn Monate alt. Meine Elternzeit neigt sich dem Ende zu und Cristobals zwei Monate beginnen. Diese gemeinsame Zeit wollen wir intensiv nutzen, damit sie nicht im Alltag verloren geht. Also reisen wir nach Chile (Familie besuchen und das Land bereisen).

Im Vorhinein plagen mich viele Sorgen… Wie kommt das Männlein mit der langen Reise und dem Druckausgleich im Flugzeug klar? Schafft das Männlein es 12 Stunden im Flieger auf dem Schoß zu bleiben? Wird das Männlein sich in der anderen Zeitzone zurecht finden? Wird das Männlein sogar durch den Temperaturunterschied von 40 Grad krank?

Der Tag der Abreise ist gekommen. Wir fliegen von Frankfurt über Sao Paulo (Brasilien) nach Santiago de Chile. Die Reise dauert 18 Stunden und der Flug von Frankfurt nach Sao Paulo nimmt davon 12 ganze Stunden ein.  Wir haben Glück, es gibt einige freie Plätze im Flieger. Unser Sitznachbar setzt sich um und wir haben drei Sitze nur für uns.

Wir starten um 20:00 Uhr. Das Männlein sitzt auf meinem Schoß. Beim Start stille ich es, um es abzulenken und zu beruhigen. Es schläft ein…

Es gibt Abendessen. Das Männlein schläft…

Ich schaue mir einen Film an. Den ersten seit der Geburt. Das Männlein schläft…

Um uns herum wird es dunkel und ruhig. Ich versuche es mir bequem zu machen, um auch die Augen ein wenig zu zumachen. Dadurch wacht das Männlein auf. Ich stille, das Männlein schläft wieder ein…

Na gut, das mit der Bequemlichkeit muss dann wohl warten, bis wir in Santiago in einem Bett liegen. Die Nacht ist ruhig, ab und zu stille ich, aber die meiste Zeit schläft das Männlein.

Am Morgen wacht das Männlein dann gerade auf, als das Frühstück serviert wird. Cristobal füttert mich. Für das Männlein gibt es die gute Muttermilch, Obst von zu Hause und ein paar Hirsekringel. Wir haben noch zwei Stunden bis zur Landung. Das Männlein ist vergnügt, flirtet mit der hübschen Brasilianerin in der Reihe hinter uns. Bei der Landung stille ich wieder, kein Problem für das Männlein.

Nach zwei Stunden aufenthalt in Sao Paulo geht es weiter mit dem nächsten Flieger. Während wir auf den Start warten; hält das Männlein sein Vormittagsschläfchen und verschläft so auch die Hälfte des Fluges.

PS: Der Druckausgleich war für mich schlimmer als für das Männlein, an die andere Zeitzone haben wir uns nach ein paar Tagen (in denen das Männlein um halb fünf aufgewacht ist) angepasst und der Temperaturunterschied war gar kein Thema.