Halt mal kurz

Männlein hat eine neue Phase erreicht. Ich vermute, diese Phase wird mich die nächsten Jahre noch intensiv begleiten. Ich nenne diese Phase:

Alles-was-ich-Mama-gebe-muss-sie-aufbewahren-bis-ich-es-wieder-haben-möchte-Phase

oder kurz:

Halt-mal-kurz-Phase

Angefangen hat es vor ein paar Wochen… ganz harmlos. Männlein sammelte draußen Eicheln auf und drückte sie mir in die Hand. Der Teil war für mich noch schwer in Ordnung. Komplizierterwurde es, als ich die Eicheln los werden wollte. Als ich sie auf den Boden fallen ließ (erschien mir irgendwie als die logischste Lösung), wurde Männlein ein bisschen ärgerlich, sammelte sie wieder auf und drückte sie mir wieder in die Hand. Also steckte ich sie in meine Hosentasche mit dem Vorsatz, sie bei der nächsten Gelegenheit einfach irgendwo rauszuschmeißen. Aber denkste! Natürlich habe ich die Eicheln vergessen und bin ihnen dann beim Wäschesortieren wieder begegnet.

Inzwischen ist es so, das mir alles mögliche in die Hand gedrückt wird. Manches darf ich entsorgen, wie z.B. das Einwickelpapier von einem Müsliriegel. Andere Sachen muss ich parat haben, falls Männlein sie dann doch wieder in seinem Spiel einbauen will.

So habe ich häufig ein recht interessantes Sammelsurium in meinen Taschen. Wenn ich all die Gegenstände hervorhole, kommt es mir manchmal vor, wie ein merkwürdiges Kunstprojekt, dass ich nicht verstehe.

Übrigens habe ich auch schon versucht, die Sachen bei Männlein in die eigenen Taschen zu stecken. Ich habe mich eh immer gefragt, warum Baby- und Kleinkindklamotten überhaupt Taschen haben. Denn außer Sand aus der Sandkiste, der dann in der Wohnung beim Umziehen herausrieselt, ist da sonst nie was drin. Jedenfalls findet Männlein es blöd seine eigenen Taschen zur Aufbewahrung zu nutzen. Also: Mama, halt mal kurz!

Männleins Geburt

Zu Beginn meiner Schwangerschaft haben wir uns erst einmal gar nicht mit der  Geburt auseinander gesetzt. Wir mussten einfach zunächst den Fakt verarbeiten, dass da ein Baby unterwegs war. Irgendwann so in der 16. Schwangerschaftswoche fragte uns die Hebamme, wo wir eigentlich entbinden wollten. Cristobal wollte nicht ins Krankenhaus und mir schwebte auch etwas heimiligeres vor. Eine Hausgeburt kam allerdings nicht in Frage, da wir erst kurz vor der Geburt umzogen und ich definitv nicht zwischen Umzugkartons entbinden wollte. So fragten wir im Geburtshaus an und hatten Glück, denn zu dem Zeitraum von Männleins Geburt hatten sie noch Platz für uns.

Im Verlaufe der weiteren Geburtsvorbereitungen entwickelte ich ein Bild, wie es ablaufen sollte. Ich wollte die Geburtsarbeit alleine leisten. Die Hebamme und Cristobal sollten nur dabei sein. Ich wollte in der Wanne oder auf dem Geburtshocker entbinden. Auf keinen Fall wollte ich auf dem Rücken liegen und auf gar keinen Fall wollte ich kristellert werden (dabei drückt jemand mit seinem Geicht während der Presswehe auf den Bauch, um so das Kind herauszudrücken)

Im Endeffekt war alles ganz anders als gewünscht. Cristobal hatte Freunde für das Wochenende eingeladen. Da wusste ich, an diesem Wochenende kommt unser Kind. Die ganze Woche hatte ich schon Senkwehen. Am Freitag besuchte mich meine Hebamme. Sie untersuchte mich und verkündete, dass der Gebärmuttehals schon ganz glatt sei. Wie schön, dachte ich, dann geht es ja bald los. In der Nacht von Freitag auf Samstag konnte ich nicht schlafen, weil ich furchtbar aufgeregt war. Die Wehen kamen regelmäßig, waren aber nicht schmerzhaft. Am morgen frühstückten wir und waren uns unschlüssig, auf jeden Fall sagten wir unseren Besuchern ab. Ich hatte das Gefühl, dass es  noch nicht so weit war, denn die Wehen kamen zwar alle drei Minuten, waren aber immer noch nicht schmerzhaft. Cristobal wollte trotzdem ins Geburtshaus fahren. Wir machten uns also auf den Weg. Als wir dort gegen 13 Uhr ankamen, waren die Wehen weg. Ich kam mir blöd vor. Eine kurze Untersuchung ergab, dass der Muttermund drei Zentimeter geöffnet war. Die Hebamme schickte uns spazieren, um die Wehen wieder in Gang zu bringen. Das half nichts und wir verbrachten den Nachmittag damit, die Wehen wieder anzukurbeln. Ich lag in der Badewanne bis ich schrumpelig wurde, trank  so ein Magnesiumgebräu und als Höhepunkt bekam ich einen Einlauf (eine Erfahrung, auf die ich sehr gerne verzichtet hätte). Nichts funktionierte und abends um neun stellte die Hebamme uns vor die Wahl: Nach Hause fahren oder im Geburtshaus schlafen. Zum Glück entschieden wir uns für letzteres. Denn gegen 12 Uhr wachte ich von einer gewaltigen Wehe auf. Die tat weh. Es ging richtig los! Die Wehen überrollten mich. Es war sofort so heftig, dass ich gar nicht mehr sprechen konnte. Cristobal rief die Hebamme an, da ich dazu gar nicht mehr in der Lage war. Ich hielt mich an einem Tuch fest und versuchte so zu veratmen, wie ich es gelernt hatte. Die Hebamme setzte mich wieder in die Badewanne. Das war deutlich besser auszuhalten. Allerdings folgten die Wehen so dicht aufeinander, dass ich kaum noch etwas um mich herum wahrnahm. Innerhalb von 1,5 Stunden öffnete sich der Muttermund von drei Zentimern komplett auf 10. Schon begann der Pressdrang. Die Hebamme untersuchte Männleins Herztöne und stellte fest, dass sie schwächer geworden waren. Ich sollte aus der Wanne raus. Kugelig und unbeweglich wie ich war, kletterte ich zwischen zwei Presswehen aus der Wanne. Das war hart und ich erinnerte mich, dass die Hebamme beim Kennenlernen erzählt hatte, die meisten Kinder würden dort beim Aussteigen aus der Wanne geboren… meins leider nicht. Ich sollte mich auf der Seite ins Bett legen und pressen so gut ich konnte. Meine Fruchtblase platzte und einen kurzen Moment dachte ich, mein Kind wäre aus der Vagina geschossen. Wieder wurden die Herztöne gemessen. Die Hebamme sagte, wenn er bei der nächsten Wehe nicht herauskommt, muss sie einen Krankenwagen rufen. Ich hörte sie, verstand es aber nicht. Auch bei der nächsten Presswehe wurde kein Kind geboren. Ich sollte nicht mehr aktiv mitpressen und versuchen den Pressdrang zu veratmen. Der Krankenwagen kam und packte mich ein. Die Hebamme steckte mir irgendwelche Globulis in den Mund, zur Beruhigung. Die Fahrt war wahrscheinlich das Härteste, was ich je gemacht habe. Jede Minute kam eine Presswehe. Der Drang mitzupressen war unbeschreiblich. Aber ich durfte nicht. Ich musste in den Bauch atmen zu meinem Kind. Im Krankenhaus angekommen hieß es, alle Kreissääle wären belegt und wir sollten in den Warteraum. Zum Glück klärte meine Hebamme das, denn lange hätte ich nicht mehr durchgehalten. Die Herztöne des Männleins hatten sich inzwischen stabilisiert und auch Cristobal war wieder da. Ich habe keine Ahnung, wie er ins Krankenhaus gekommen ist. Im Rettungswagen war er jedenfalls nicht und mit unserem Auto ist er auch nicht gefahren. Im Kreissaal angekommen stieg ich in ein Bett um und durfte endlich weiter machen. Zunächst war ich im Vierfüßlerstand, aber da Männleins Köpfchen bei jeder Wehe vorrutschte und dann wieder zurückflutschte, wurde ich irgendwie, gegen meinen Willen auf den Rücken bugsiert. Die Ärztin verkündete: „Bei der nächsten Wehe helfe ich dann mal mit!“ Und das tat sie. Sie drückte mit ihrem ganzen Gewicht auf meinen Bauch. Es tat weh und ich schrie. Die Hebamme im Kreissaal meinte, ich solle bei der nächsten Wehe nicht so schreien, das würde zu viel Energie verschwenden, die dann beim Pressen fehlte. Sie hatte offensichtlich noch nie ein Kind geboren. Bei der nächsten Presswehe wollte die Ärztin wieder mithelfen. Cristobal gab ihr aber zu verstehen, dass das nicht in Ordnung sei. Wieder flutschte das Kind vor und wieder zurück. Ich hörte die Ärztin sagen, dass sie den Oberarzt rufen wollten, damit er mit der Saugglocke dazu käme. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Bei der nächsten Presswehe gab ich alles. Und tatsächlich! Der Kopf war da. Die Hebamme fragte mich, ob ich ihn anfassen wollte. Erschöpft sagte ich nein, aber sie hörte mich nicht, nahm meine Hand und legte sie auf den Kopf zwischen meinen Beinen. Das fand ich wirklich sehr unangenehm. Ich weiß nicht warum, aber es war ein gruseliges Gefühl. Noch zwei weitere Presswehen folgten, ehe das kleine Menschlein komplett heraus kam um 2:44 Uhr am Sonntag. Sofort wurde er mir auf die Brust gelegt. Ich hätte gerne einmal kurz durchgeatmtet und ihn mir dann selbst genommen. Aber egal, ich war so erschöpft und froh es geschafft zu haben. Da war das jetzt auch egal.  Es war einfach alles so schnell gegangen. Nicht einmal drei Stunden hatte es gedauert. Ich schaute mir unseren Sohn an. Er war winzig klein und sah aus wie Cristobal. In meiner Vorstellung war ich in diesem Moment immer emotional tief berührt. In der Realität fühlte ich mich einfach nur fertig. Cristobal weinte. Ich sagte nur ein paar merkwürdige Sätze: „Das war das krasseste, was ich je gemacht habe“; „Ich bin gar nicht gerissen!“ (Ich bin heftig gerissen); „Draußen hat es gefroren, das hab ich gesehen, als ich verlegt wurde.“ Die Hebamme fragte, ob wir am Morgen nach Hause wollten. Darüber waren wir sehr froh, denn wir dachten, dass wir vielleicht noch zu Männleins Sicherheit ein paar Tage bleiben müssten.

Ich habe sehr lange mit diesem Geburtserlebnis gehadert. Irgendwie ist alles so gelaufen, wie ich es nicht wollte. Im Nachgespräch mit meiner Hebamme erfuhr ich allerdings, dass wir fast einen Notkaiserschnitt gebraucht hätten. Danach war ich froh, dass es dann doch ohne ging.  Und auch wenn alles anders lief als geplant, so war es doch der Geburtstag meines  Sohnes und somit auf jeden Fall ein wunderbarer Tag. Was wir machen, wenn ich wieder schwanger bin? Ich wünsche mir eine heilsame Hausgeburt, die mich mit Männleins Geburt versöhnt. Wer weiß, ob es dann klappt. Aber ich weiß jetzt: Egal wie es dann sein wird, es wird der richtige Weg für das Kind sein und ich habe es ja schon einmal geschafft.

Mein Kaiserschnitt. Meine Narbe | Mein Gefühl versagt zu haben!