Schmerzhafte Liebe

Unser Männlein wurde mit einem Hodenhochstand geboren. Zunächst machten wir uns dazu gar keine Gedanken, da die Chancen gut standen, dass der Hoden noch von alleine herunterkommt. Doch von U zu U kristallisierte sich immer mehr heraus, dass der Hoden an seinem Plätzchen im Warmen bleiben wollte. Ich fuhr sogar eine Stunde mit dem schreienden Männlein zu einem Ostheopathen, der sich auf solche Fälle spezialisiert hatte. Leider ließ der Hoden sich auch von ihm nicht überreden weiter zu wandern.

Bald war klar, dass uns die OP nicht erspart bleiben würde. Wir vereinbarten einen Termin. Zur OP war Männlein 13 Monate alt. Bei der Narkoseaufklärung wurde uns gesagt, er dürfe vier Stunden vor der OP nicht mehr gestillt werden. Das verursachte mir Bauchschmerzen, denn die Opperation sollte am frühen Morgen stattfinden und Männlein wollte gerade in den fühen Morgenstunden häufig an die Brust. Wieder Erwarten war das dann aber gar kein Problem und wir fuhren sehr früh um halb sechs in die Klinik.

Dort angekommen bekam Männlein den sogenannten Scheißegalsaft verabreicht. Das war wirklich gruselig und rückblickend auch irgendwie lustig. Denn unser Kind war total high. Männlein war nur noch am Lachen und konnte sich auch nicht mehr halten. Er hatte komplett seine Körperkontrolle verloren. Wir durften ihn bis zum OP begleiten. Den Moment, als er in seinem Rollbettchen durch die Tür geschoben wurde und wir nicht mit durften, den werde ich wahrscheinlich niemals vergessen. Wir hatten unser Männlein an wildfremde Menschen übergeben. Sie würden ihn unter Vollnarkose setzen und an ihm herumschneiden und wir konnten nicht aufpassen und ihn beschützen. Wir mussten auf fremde Menschen vertrauen. Ich fing an zu weinen und auch Cristobal war ziemlich aufgeregt. Die Schwester schickte uns in die Cafeteria mit dem Hinweis, wir sollten in einer Stunde wieder kommen und dann dürften wir in den Aufwachraum.

Als wir nach einer Stunde wieder da saßen (und im Wartebereich den Schreien einer gebärenden Frau lauschten), dauerte es dann doch noch eine ganze Weile, was uns wirklich sehr beunruhigt. Aber dann kam die Ärztin und teilte uns mit, alles wäre gut verlaufen und wir dürften nun zu unserem Kind. Es war wirklich nicht schön, Männlein so zu sehen. Er schlief noch und er sah so viel winziger aus als sonst. Ich hatte das unerklärliche Bedürfnis an ihm zu schnüffeln. Nach einer halben Stunde wachte er zum Glück auch schon auf und war noch ziemlich mitgenommen von der Narkose. Erst lachte er und fand alles lustig, dann schlug es um und er weinte. Natürlich hatte er ja auch einen Riesenhunger. Ich stillte ihn ein bisschen, was uns beide etwas beruhigte. Dann kam die Schwester von der Station und brachte uns auf unser Zimmer. Männlein bekam ein Tablett mit Frühstück und er verschlang alles gierig. Zur Sicherheit sollten Männlein und ich die Nacht im Krankenhaus verbringen. Das war schrecklich. Ich habe noch nie im Krankenhaus übernachtet und es ist einfach furchtbar. Es war unruhig, die Schwester kam nachts dauernd herein und hat jedes Mal groß Licht angemacht. Jedes Mal ist Männlein aufgewacht und brauchte dann ewig, um wieder zur Ruhe zu kommen. Wir waren so froh, als Cristobal uns morgens wieder abholte.

Zunächst verlief alles wunderbar. Männlein hatte gar keine Schmerzen und brauchte auch nichts von dem Schmerzmittel, dass wir ihm besorgt hatten. Die Wunde sah sehr gut aus. Doch als sich nach einer Woche die Fäden auflösten, ging die Wunde wieder auf. Ich fuhr mit dem Männlein zum Arzt, der mir große Angst machte und sagte wir sollten  Kleidung für mehrere Tage mitnehmen und wieder ins Krankenhaus fahren. Weinend und schmerzhaft besorgt fuhr ich los, Cristobal von der Arbeit holen. Weinend meldete ich mich von der Arbeit ab.

Wir fuhren ins Krankenhaus und stellten uns darauf ein, dass Männlein unter Vollnarkose noch einmal aufgeschnitten und genäht werden würde. Zum Glück war es dann nicht so dramatisch… eigentlich gar nicht. Wir bekamen ein Mittel, um die Wunde zu desinfizieren und den Tipp Kamillesitzbäder zu machen und durften auch schon wieder nach Hause. Da habe ich ja völlig umsonst Panik gehabt. Der Wundheilungsprozess dauerte nun natürlich viel länger und die Narbe würde viel größer bleiben und wir mussten das ganze gut im Auge behalten. Aber am Ende ist es verheilt. Was mir nur nachhaltig geblieben ist, ist die Erinnerung an die Angst, die Hilflosigkeit, das Wissen, dass man nichts tun kann und das große Bedauern dem Männlein Opperationen, Schmerzen, jegliches Leiden nicht abnehmen zu können. Ich meine ich bin auch empathisch mit anderen Menschen, die Leiden, so ist das nicht. Aber den Wunsch, Schmerzen einer anderen Person auf mich zu nehmen, der war mir bis dahin gänzlich unbekannt.

Premieren, die Mütter nicht brauchen: Arm gebrochen, Krankenhaus und OP